Das KZ-Außenlager Kamenz-Herrental in der Zeit des Nationalsozialismus – Aufbau und Betrieb

Zustände im Lager
Das Ziel „Vernichtung durch Arbeit“ wurde im Lager durchgesetzt. Der Alltag wurde von früh bis spät durch Qualen geprägt, einerseits durch die ohnehin präsenten physischen und psychischen Belastungen des Haftalltags, andererseits durch völlig unzureichende hygienische Zustände, den ständigen Hunger, die Angst vor dem allgegenwärtigen und täglichen Tod von Mithäftlingen oder auch die Tyrannei des Wachpersonals.
Die Bewachung der Anlage bestand aus 24 SS-Soldaten. Häftlinge wurden durch die SS-Leute und Kapos (Funktionshäftling in einem Konzentrationslager, der im Auftrag der SS und gegen Vergünstigungen andere Häftlinge beaufsichtigt) geschlagen, wo sie nur konnten. Ziel der Schläge mit einem Gummiknüppel war, wie schon bei den Transporten, vor allem der Kopf. Posten schlugen schon bei geringsten Anlässen mit Peitschen auf die Häftlinge ein.
Lagerführer Wirker
Von den meisten Zeugen, ob Häftlinge oder auch Nachbarn des Lagers, wird betont, dass Wirker besonders brutal war.
Eines Tages hatte sich ein Häftling an einer Decke aus dem oberen Stockwerk auf das Dach heruntergelassen und konnte so fliehen. Nachdem ihn ein Bauer bei Riesa wieder aufgegriffen und ihn ins Lager zurückgebracht hatte, wurde er vom Wachpersonal zusammengeschlagen. Am darauffolgenden Tag trug er auf dem Weg zur Arbeit einen Kopfverband und nur einen Tag später sah man ihn nicht mehr – war er gestorben? Wirker gab dazu keine Auskunft: „Man dürfe mit solchen kein Mitleid haben.“
Bei Fliegeralarm ging Wirker mit entsicherter Pistole um das Fabrikgebäude und schoss auf Häftlinge, die sich am Fenster zeigten. Im Lager hörte man öfter Schüsse, teilweise darauf auch einen Menschen jammern. Tötungshandlungen wurden aber von keinem gesehen. Nur in einem Fall ist eine Androhung Wirkers bekannt geworden: „Wenn du nicht aus Chemnitz wärst, würde ich dich erschießen!“, habe er einem Häftling gesagt.
Versorgung
Bei der zunehmenden Belegungsstärke waren Kochkessel völlig unzureichend, was sich in der mehr als schlechten Verpflegung der Häftlinge zeigte: Es gab fast ausschließlich Kohlrübensuppe, und das nie ausreichend. Häftlinge stürzten sich deshalb in der Glashütte nach der Mahlzeit auf Abfallhaufen, auf der Suche nach Essbarem, wie Kartoffelschalen. Dort schlugen Posten auf die Häftlinge ein und traten sie mit Füßen, wobei auch mal ein Häftling liegenblieb.
Der erste Koch, ein Pole, hatte Lebensmittel gestohlen und war dann mit anderen Häftlingen durch den Kanal aus dem Lager geflüchtet. Ob diese Flucht geglückt ist, blieb unbekannt, doch wurden daraufhin die übrigen Häftlinge umso härter geschlagen. Einige starben daran.
Allerdings konnte die schlechte Versorgung vor den Nachbarn nicht verheimlicht bleiben. Ergebnis dieser mangelnden Ernährung waren Schwäche sowie schwere gesundheitliche Schäden bis zum Tod. Und wer erst einmal im Krankenlager war, kam nicht mehr zurück. Die Häftlinge bekamen oftmals Durchfall, sodass die Nachbarn schon eine Ruhrepidemie befürchteten.
Mangelhafte Arbeitsleistung war aber auch auf die verheerende Unterversorgung zurückzuführen. Ihnen wurde eine Stunde Mittagspause und je 10 Minuten Frühstücks- und Vesperpause gegeben. Meistens fielen die Pausen aber aus, weil die Häftlinge nichts zu essen hatten. Für das Mittagessen, welches meist nur aus Wasser und Rüben bestand, verblieben nur 20 Minuten. Häftlinge konnten vor Hunger kaum aufrecht gehen, ihre Augen standen heraus und ihre Arme hingen schlaff herab. Sie waren arbeitsunfähig und die Todesfälle waren zahlreich.
Medizinische Betreuung im Lager
Diese Umstände führten zu katastrophalen gesundheitlichen Bedingungen. Die Häftlinge waren physisch und psychisch am Ende ihrer Kräfte. Ihre medizinische Betreuung war zwingenderweise erforderlich. Dafür bestanden zwischen der Elster GmbH und dem Lager sehr enge Kontakte. Zwei Lagerärzte, ebenfalls Häftlinge, setzten sich für bessere Verpflegung bei Lagerführer Wirker ein. Der Gesundheitszustand der Insassen solle nicht noch weiter gefährdet werden. Wohl auch auf das Drängen Dr. Nestes wurden daraufhin Kartoffeln geliefert. Das blieb eine Einmaligkeit im Lageralltag. Dr. Neste musste nur einmal tatsächlich in die medizinischen Angelegenheiten des Lagers eingreifen. Bei der Nachprüfung der Diagnose des Lagerarztes wegen Seuchengefahr lernte er die im Dachgeschoss befindliche Krankenstube kennen. Den Saal mit den schwerkranken, dem Tode geweihten Häftlingen sehend, wurde ihm das dauerhafte Sterben im Lager bewusst.
Das Schlimmste, was zu seinen Aufgaben gehörte, war, die durch Lagerführer Wirker und einen französischen Lagerarzt unterschriebenen Totenscheine mit zu unterzeichnen. Neste unterschrieb bis zu 20 Totenscheine pro Tag. Als Haupttodesursachen wurden in den Totenscheinen angegeben: Erschöpfung, Lungenentzündung, Grippe, Wundrosenepidemie, die sich in Folge der katastrophalen Unterernährung ausbreiten konnte, Auszehrung und schlechte Bekleidung sowie Darmerkrankungen und blutiger Durchfall, die in Folge der vielen wässrigen Ernährung und durch rohes Essen von Kohlköpfen entstanden.
Giftinjektionen
Der Zeitzeuge Bahr berichtet, er war 1941 bis 1943 im KZ Neuengamme eingesetzt. Er sagte eidesstattlich aus: „Die Leute wurden nachts einzeln in das dazu bestimmte Zimmer geführt. Dort bekamen sie den Befehl, sich auf den Bauch auf den Tisch zu legen. Dann bekamen sie von Brüning oder mir ungefähr 5 ccm Phenol in das Loch des Hinterkopfes injiziert. Die Leute waren sofort bewusstlos und starben 1 bis 2 Minuten danach. Dann trugen Brüning und ich sie in die Leichenkammer, die gleich daneben war. […]“ Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Bahr auch in Bautzen und Kamenz tätig geworden sein könnte. Einen Nachweis gibt es jedoch nicht dafür. Relativ sicher ist jedoch, dass auch in Kamenz arbeitsunfähige, kranke Häftlinge vom Sanitätspersonal, auch von anderen Häftlingen, Gift injiziert bekamen.
Schwerkranke kamen in einen Raum auf dem Dachboden, von wo man ihre Leichen, in Decken gehüllt, in den Keller trug, wo sich Öfen zur Leichenverbrennung befanden. In Kamenz krank zu sein war sehr gefährlich. Und alle hatten eine panische Angst, dass man sie „nach oben“ bringen wird, denn das war schon das Ende. Ein Häftling, der einen Nervenzusammenbruch bekam und unaufhörlich schrie, wurde „nach oben“ gebracht und nie mehr gesehen.
Die Beseitigung der Opfer: Verbrennung in der Heizanlage
Für den Betrieb der Heizanlage, für die Verbrennung, waren zwei in der Glashütte beschäftigte Häftlinge ausgebildet worden. Bereits nach der Ankunft des ersten Transports 1944 wurde beobachtet, wie ein Toter zum Kesselhaus getragen wurde. Man sah nur die Füße des abgedeckten Leichnams. Darauf rauchte der Schornstein. In der Folgezeit war die Verbrennung von Häftlingen täglich zu beobachten. Die Toten wurden aus dem Lagergebäude an der Nordseite zuerst durch den Kohlenschuppen zum Kesselhaus gebracht.
Nach ersten Rückfragen von Nachbarn wurden die Toten auf einem nicht einsehbaren Weg, über den Friedhof, zum Kesselraum gebracht. Zur weiteren Verschleierung der Vorgänge scheint deshalb zwischen Küche und Kesselraum ein zusätzlicher Raum eingerichtet worden zu sein. Durch eine in der Decke befindliche Falltür wurden die Leichen nun herabgeworfen. Es wurden sechs Häftlingen zur Verbrennung eingeteilt. Außerdem sorgte man dafür, dass niemand von ihnen das Lager lebend verlassen konnte.